Die südlichen großen Masurischen Seen
"Ich komme aus einer großen Landschaft, die vieles an mir gebildet hat und aus jener Einsamkeit, in der ein Mensch noch wachsen und werden kann. Das ganze spätere Leben hat diesen Ursprung und diese Ursprünglichkeit nicht auslöschen können, keine Bildung, keine Ratio, keine Welt. Aber ich habe diesen Ursprung durchdrungen mit dem, was ich gelernt und erfahren habe." (Ernst Wiechert)
Nach Besuch der Hauptstadt der Woiwodschaft wollen wir nun das urige und traditionelle Masuren erkunden. Es geht hinein ins Land der dunklen Wälder und kristall'nen Seen. Unser erster Halt führt uns in ein kleines, unscheinbares Dörfchen, welches sich aber als Paddel-Mekka entpuppen sollte. Sorkwity (Sorquitten) ist ein beliebter Einstieg in die Krutynia-Tour, die schönste und meistbefahrene Paddelroute in Masuren, die durch mehr als 20 Seen auf einer Gesamtlänge von 100 km führt. Die Krutynia (Kruttina) ist dabei ein Flüsschen, welches die Seen auf sehr romantische und wunderschöne Art miteinander verbindet. Wir konnten innerhalb dieses Roadtrips nicht die Krutynia-Tour machen, da sie für sich allein genommen bereits eine eigenständige Reise darstellt, allerdings wollten wir uns das Kanufahren nicht ganz nehmen lassen. Und so stiegen wir hier in ein Kanu und fuhren etwas hinaus auf den Jez. Lampackie. Der Kanuverleih gehört zu einem Campingplatz, der hier wirklich sehr idyllisch liegt und einen Badestrand ebenso besitzt wie allerhand weitere Freizeitmöglichkeiten (z.B. Tischtennisplatten, Volleyballfeld). Eine andere Übernachtungsmöglichkeit, die sehr interessant klingt, wir aber nicht ausprobierten, ist das Hotel im Park (Jędrychowo 15, 11-731 Sorkwity). Es ist ein sorgfältig restauriertes Gutshaus aus dem 18. Jahrhundert am Ufer des Lampasz-Sees in einem fünf Hektar großen, schönen Park. Die Innenausstattung sei im ausgesucht eleganten Landhausstil. Angeschlossen an das Hotel ist ein empfehlenswertes Restaurant mit Fisch- und Wildspezialitäten. Des Weiteren befinden sich auf dem Gelände Ferienhütten, kleiner Badestrand und Ruder- und Paddelbootverleih. Eine andere Möglichkeit in der Vergangenheit zu nächtigen, die allerdings nunmehr nicht mehr besteht, war am Ufer des von uns mit dem Kanu befahrenen Lampackie-Sees in direkter Nachbarschaft zum besagten Campingplatz. Hier erhebt sich ein rotes Backsteinschloss, welches 1788 von den Grafen von Mirbach an Stelle eines Vorgängerbaus errichtet wurde. Es ist architektonisch gesehen im neogotischen englischen Burgenstil mit Zinnen gekrönten Mauern und Türmchen umgebaut worden und beherbergte seit den 1990er Jahren zweimal einen Hotelbetrieb, die beide scheiterten. Seit 2011 ist es in seinen Dornröschenschlaf verfallen – Zukunft ungewiss!
Man kann in der Nähe noch sehr gut wandern gehen. Hierfür fährt man in den Ort Krutyń. Die Wanderung geht um die Krutynia und den Jez. Mokre (Muckersee) und ist sehr abwechslungsreich. Die Gegend um den kleinen Fluss Krutynia zählt zu den meistbesuchten Regionen in Masuren. Der schönste Teil des Flusses liegt zwischen dem Muckersee und Ukta. Wanderwege direkt entlang des Flusses gibt es zwar nicht, doch verbindet die Wanderung, die wir hier unternommen haben, und die um die Krutynia führt, all das, was Masuren ausmacht: Seen, Wiesen und dichte Wälder. Wir beginnen an der Stakbootanlegestelle in Krutyń und gehen zunächst Richtung dem Reservat Zakre mit seinen märchenhaften Waldseen. Der Zugang zu dem Rundweg durch das Reservat ist gekennzeichnet durch eine 160-jährige Eiche, die eine 250-jährige Kiefer sinnbildlich umarmt und mit ihr verwachsen ist. Anschließend geht es parallel zum Seeufer entlang bis zum Reservat Königsfichte (Królewska Sosna) und im Wald zurück. Dieser letzte Abschnitt beinhaltet nochmals einen höchst stimmungsvoll gelegenen Waldsee. Danach geht es wieder zurück nach Krutyń.
Das 3800 Einwohner kleine Örtchen Mikołajki (Nikolaiken) ist unsere nächste Station auf dem Weg Richtung Osten. Es genießt den Ruf, einer der größten masurischen Wassersportverkehrsknotenpunkte zu sein. Vom Spirdingsee kommend, halten die Boote über den Nikolaikensee Einzug in den beliebten Ferienort. Vom nördlichen Mamry-See aus geht es über das Tałty-Gewässer unter der Brücke hindurch nach Mikołajki hinein. Mikołajki oder zu Deutsch Nikolaiken umgibt die Sage des Stinthengstes. Er ist nicht nur angekettet an einem Brückenpfeiler, sondern prangt auch als Brunnenstatue auf dem Marktplatz, der umringt ist, von leckeren Restaurants. Die Sage erzählt, dass der Stinthengst, ein kronentragender Fisch, Herrscher über die See war. Die Fischerleute hatten große Angst vor ihnen, bis zu dem Zeitpunkt, ab dem sie gelernt haben, größere Boote zu bauen und festere Netze zu knüpfen. Von nun an konnte ihnen der Fisch nichts mehr anhaben, keine Netze zerstören oder Boote zum Kentern bringen. Der Mensch musste sich demnach nicht mehr fürchten. Wie es so ist, beließen es die Menschen dabei aber nicht, sondern – wie es nun mal scheinbar so üblich für das Wesen des Menschen ist – sie jagten ihn und nahmen ihn gefangen. Um den Tod zu entgehen, versprach ihnen der Stinthengst – König der Fische -, dass die Fischersleute stets volle Netze haben werden, wenn sie sein Leben verschonen würden. Die Nikolaiker gingen auf den Handel ein, waren aber misstrauisch und ketteten ihn fortan am Brückenpfeiler fest, damit er immer schön an sein Versprechen erinnert werde. Nikolaiken ist ein rein touristisches Dörfchen. Stets zum Sommerbeginn bzw. zum Start der Urlaubssaison verwandelt sich das beschauliche Dörfchen in ein Touristenhotspot. Es wirkt fast so, als sorge der Stinthengst nun nicht mehr für volle Fischersnetze, sondern für volle Cafés und Restaurants an der wirklich schönen Seepromenade, die auch wir abliefen. Nikolaiken, das als "masurisches Venedig" bezeichnet wird, davon aber recht wenig hat, ist ein Besuch wert, um sich gut gehen zu lassen und zwischen den zahlreichen Souvenirständen hindurchzubummeln. Außerorts bieten sich jeweils am West- und Ostufer des Jez. Mikołajskie zwei Wanderungen an. Eine führt dabei auch zum etwa fünf Kilometer entfernten Ufer des Łuknajno-Sees, eines der insgesamt neun polnischen UNESO-Biosphärenreservate. Das Besondere an diesem Gewässer ist nicht nur, dass es durchschnittlich nur 60 cm tief ist, sondern v.a. als Europas größtes Reservat für Höckerschwäne gilt. Es gibt einen Beobachtungspunkt, von dem man gut über den See blicken kann, ohne Fernglas allerdings nur weiße Punkte auf dem weit entfernten Wasser erkennen kann. Man benötigt für die Vogelbeobachtung daher in jedem Fall ein gutes Fernglas, dann lohnt es sich aber wirklich.
Eine vierte, sehr empfehlenswerte Wanderung beginnt in dem sehr kleinen Dörfchen Zdegówko. Sie führt in einem großen Bogen um den Tuchlin-See herum, der hierbei wahrlich nicht im Zentrum des Wandererauges steht. So ist er kaum wahrnehmbar, nur an wenigen Stellen wirklich sichtbar. Es geht hier v.a. um die hinreißende Landschaft um den See herum, die geprägt ist von einem breiten Schilfgürtel, großartigen hügeligen Wiesenflächen, in die kleine Wäldchen und Getreideacker harmonisch hineinkomponiert sind. Wir gehen auf nicht immer gut begehbaren und an einem kurzen Abschnitt (hinter Dziubele) auch stark zugewachsenen Wegen und Pfaden von Zdegówko aus startend Richtung Jezioro Tuchlin, passieren dabei den gleichnamigen Ort Tuchlin, wenden uns anschließend ab vom See, gehen Richtung Chmielowo, anschließend über Dziubele und Suche Róg wieder zurück nach Zdegówko. Wir passieren dabei einen alten deutschen Friedhof mit Gräbern masurischer Bewohner, eine arkadische Landschaft und den besagten gewaltigen Schilfgürtel. Auf unserer Wanderung durch die wirklich wunderschöne Landschaft konnten wir auch einige Tiere beobachten – von Störchen, Seeadlern und Kraniche über Feldhasen, Rehe bis hin zu Elchen war alles dabei. Es ist eine unbedingt zu empfehlende Wanderung durch die wundervolle masurische Landschaft. Erwähnenswert ist definitiv noch anzuführen, dass wir – und das gilt zum Teil für viele andere Wanderungen auch – die einzigen Wanderer waren, die zu diesem Zeitpunkt unterwegs waren. Und das, obwohl Hauptreisezeit war.