Côte de Grâce und Côte Fleurie
"Alle Menschen sind immer eilig, und man geht schon fort, wenn man erst ankommen sollte." (Marcel Proust)
Von Rouen aus kommend geht es zurück zur Küste. Le Havre
ließen wir links liegen: Außer Industrieanlagen, Dreck und für uns
unansehnliche moderne Architektur gibt es dort nichts. Entsprechend
uninteressant empfanden wir diese Hafenstadt. Uns zog es eher zu den kleineren,
idyllerischen und romantischeren Küsten- und Fischerstädtchen an der Côte de
Grâce und Côte Fleurie. Ausgehend vom obigen Zitat finden wir, dass das "Sich-Fallen-Lassen" und Genießen statt Hetze und Eile diese Städte und diesen Küstenabschnitt besonders eindrücklich werden lassen.
Das erste Städtchen, welches bereits eine absolute Perle der Küstenorte darstellte und in welches wir uns sofort verliebten ist Honfleur. Das Fischer-Städtchen gehört mit seinen schmalen Häusern, den charmanten Gassen, den pittoresken Fachwerkhäusern und den Resten der Befestigungsanlage aus dem 17. Jahrhundert zu einem der reizvollsten Orte der Normandie. Ein Highlight (unter vielen) ist die Kirche Sainte Catherine, eine Seemannskirche aus dem 15. Jahrhundert ganz aus Holz. Besonders schön empfanden wir darüber hinaus das Hafenbecken und den sich daran anschließenden riesigen blütenreichen und prachtvollen Park, der direkt in einen wunderschönen Sandstrand überging. Ebenso gerne durchstreiften wir aber die engen kleinen und schmalen Gassen, die gesäumt waren von wirklich schönen und einzigartigen Fachwerkhäusern. Man fühlte sich absolut in eine andere Zeit zurückversetzt. Honfleur ist für uns ein Juwel und war ein absolutes Highlight auf unserer Normandiereise.
An der Küste weiter kommen mit Deauville und Trouville sur Mer zwei Badeorte an der Blumenküste, die auch zum Flanieren und Entspannen einladen. Sie sind zwei Stunden von Paris entfernt. Trouville verdankt seinen Ruf dem Charme seines Fischerhafens, seinem wunderschönen langen Strand mit feinem Sand und seinem reichen architektonischen Erbe. Ein symbolträchtiger Fischermarkt, ein jahrhundertealtes Casino, die Cures Marines, eine Reihe von Küstenvillen aus dem 19. Jahrhundert, schmale Gassen mit Fischerhäusern sowie ein breites Angebot an kulturellen Unterhaltungen und Sport das ganze Jahr über machen all das aus. Trouville ist ein pulsierender Ferienort direkt in Nachbarschaft zu Deauville. Deauville zu erleben wiederum, bedeutet entlang der Strandpromenade mit dem Meer als Garten spazieren zu gehen und seine geschützte und wunderschön anzusehende normannische Architektur zu entdecken. Gerade den Marktbereich, aber auch die Strandpromenade empfanden wir als besonders sehenswert.
Eine Wanderung bei Deauville-Trouville sur Mer führte uns in den Sumpf von Blonville und den See von Villers. Hier stehen klassische Badeküste in Kontrast zu unberührter Sumpflandschaft: Es ging los in Villers-sur-Mer. Es ist ein beschauliches kleines Küstenstädtchen mit einem schönen Sandstrand. Wir starteten unsere Tour aber nicht dort, sondern an dem nicht weit entfernten paläontologischen Museum. Dies liegt am Rande eines Parks, der von großen Seen durchzogen ist. Hier kann man vortrefflich die Seele baumeln lassen oder nach Lust und Laune spazieren gehen. Nach dem Park passierten wir eine unberührte Sumpflandschaft, die einen schönen Kontrast zu der klassischen Badeküste darstellte. Dieses Moor, dass von menschlichen Eingriffen gänzlich unberührt blieb, endete in Blonville. Von hier aus schlugen wir den Weg zum Sandstrand ein und gingen an ihm zurück. Eine insgesamt nette und kurze Wanderung, die wir am Abend vollzogen und somit aufgrund der immer schlechter werdenden Lichtverhältnisse kaum fotodokumentieren konnten. Es ist kein Highlight, wenn man sie in Bezug zu den anderen Wanderungen, die wir während des Urlaubs in der Normandie absolvierten, setzt, sie ist aber leicht bewältigbar und eine Empfehlung, wenn man die notwendige Zeit hat.
Nächste Station an der Küste war Dives-sur-Mer, eine normannische Stadt, die in die Geschichte als der Ort eingegangen ist, von dem aus Wilhelm der Eroberer aufbrach, um England zu erobern. Er wählte 1066 die Dives-Mündung als Ort, um seine Flotte zu versammeln und Schiffe zu bauen, bevor er nach England übersetzt. Entsprechend zentral ist die Persönlichkeit "Wilhelm der Eroberer" für die Stadt gewesen und entsprechend wird das Stadtbild durch ihn charakterisiert. So ist die mittelalterliche Altstadt ein Muss bei der Besichtigung. Sie ist zwar klein, aber absolut sehenswert. Man gewinnt den Eindruck, dass man sich in einem mittelalterlichen Filmset befindet, wenn man so zwischen den Fachwerkhäusern steht. Auch sehenswert ist die gotische Kirche Notre-Dame sowie die hölzerne, gotische Markthalle aus dem beginnenden 15. Jahrhundert, die liebevoll restauriert wurde und jeden Samstagmorgen immer noch einen großen Lebensmittelmarkt beherbergt.
Gleich gegenüber von Dives-sur-Mer befindet sich Cabourg, das einen gewaltigen historischen und architektonischen Kontrast zur Nachbargemeinde darstellt, weil die Villen Cabourgs nicht aus dem Mittelalter, sondern aus der Belle Époque stammen. Die Stadt ist planmäßig angelegt worden. Auf die Hauptstraße, die eine breite und große Fußgängerzone darstellt, führen die seitlichen Straßen ringförmig zu. Alles mündet auf einem großen Kreisverkehr, in dessen Mitte sich, ganz dem Namen der Côte Fleurie gerechtwerdend, eine wahre Blütenpracht ausbreitet. Am Kopf und damit die letzte Trennung zwischen Stadt und Strand befindet sich einerseits das Casino sowie vor allem das Le Grand Hôtel Cabourg. Dahinter erstreckt sich der weitläufige feinsandige Strand. Das Seebad verfügt nicht nur über die längste Fußgängermeerpromenade Frankreichs (3,6 km), sondern auch über verdammt viele Villen und Herrenhäuser aus besagter schöner Epoche, die nicht nur die Promenade säumen, sondern die gesamte Innenstadt füllen. Ein Flanieren und Bummeln durch die Straßen und Gassen sowie über die Promenade lohnt sich sehr und sollte man mal gemacht haben. Die Gebäude aua der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie des beginnenden 20. Jahrhunderts sind sehr sehenswert und hinterlassen einen tiefen Eindruck, wie zu der Zeit ein Badeort der Belle Époque ausgesehen haben muss. Eine wichtige Persönlichkeit der Stadt, auf dessen Spuren man hier auch gut wandeln kann, ist Marcel Proust. Er ist ein französischer Schriftsteller und verbrachte von 1907 bis 1914 jeden Sommer in Cabourg, um im hiesigen Grand Hôtel an seinem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" (in dem er Cabourg den Namen Balbec gab) zu arbeiten. Dieser Roman ist ein Monumentalwerk in sieben Bänden und das Hauptwerk der französischen Romanliteratur des frühen 20. Jahrhunderts, hat damit also eine immense literarische Bedeutung.
Etwas weiter von der Küste entfernt liegt Beuvron-en-Auge, ein 194-Einwohner-Dörfchen, welches im 12. Jahrhundert entstand und seine mittelalterliche Architektur weitgehend bewahrt hat. Trotz der geringen Einwohnerzahl und Größe (von etwa 9,68 km²) ist dieses Dorf eines der schönsten Beispiele für buntes, typisch normannisches Puppenhaus-Fachwerk und erhielt die Auszeichnung als schönstes Dorf Frankreichs (übrigens erst durch umfangreiche Restaurierungsarbeiten). Die Hauptstraße ist wirklich schön anzusehen und die hübschen Lädchen in den charmanten Fachwerkhäuschen laden zum Bummeln ein. Verschönert wird die Hauptstraße noch mit zahlreichen und blütenreichen Blumenflächen. Etwas abseits der Hauptstraße - da wo sich der Parkplatz befindet - laden größere Parkflächen zum Verweilen und Entspannen ein. Große Bäume spenden hierfür auch entsprechend Schatten.
Auch im Landesinneren befinden sich zahlreiche Bauernhöfe (sogenannte "fermes"), die als Direktvermarkter Käse oder die berühmten Apfelprodukte der Normandie vertreiben. Wir besuchten hier zwei Bauernhöfe, die aber stellvertretend für die große Vielzahl an Käse- und Cidre-Produzenten stehen. Es gibt ja sogar extra ausgewählte Routen (Route du Cidre als Link und Route de fromage), die zu den verschiedenen Erzeugern führen. Wir besuchten für die Apfelprodukte (Apfelsaft, Cidre/ Apfelwein, Calvados, aber auch Honig von den Apfelstreuobstwiesen uvm.) die Cidrerie Ferme cidricole Desvoye, die uns sehr gefiel. Auch ist es hier möglich neben dem Probieren eine Tour zu unternehmen. Allerdings findet diese nur zu bestimmten Zeiten statt und ist auf Französisch, weshalb sie für uns keinen Sinn ergab. In Douville-en-Auge besuchten wir die Ferme de l'Oraille, ein Bauernhof, der einen kleinen Shop besaß, in dem es Allerlei zu kaufen gab (u.a. Honig, Geschirr, Marmelade, Dosenfleisch, Eis etc.). Hauptaugenmerk lag aber auf der Käsetheke, die eine kleine aber wirklich feine Auswahl anbot und wo wir uns reichhaltig bedienten. Einziges Manko: Man durfte bzw. konnte nichts probieren, was wir als sehr schade erachteten, weil wir somit die Katze im Sack kauften, denn alle angebotenen Produkte (ob Camembert, Hart- oder Weichkäse, ja sogar die Joghurts) waren selbst hergestellt.